Fast 70 und kein bisschen leise

Seit 1982 kümmert sich der von Pastor Hans-Günter Werner gegründete Verein Arbeitslosenselbsthilfe Wedel um Langzeitarbeitslose in der Stadt.

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Seit mittlerweile Jahrzehnten managt Hans-Günter Werner die Arbeitslosenselbsthilfe Wedel - und hilft dabei oft Menschen, die anderswo kaum noch Hilfe finden.
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Seit mittlerweile Jahrzehnten managt Hans-Günter Werner die Arbeitslosenselbsthilfe Wedel - und hilft dabei oft Menschen, die anderswo kaum noch Hilfe finden., Seit mittlerweile Jahrzehnten managt Hans-Günter Werner die Arbeitslosenselbsthilfe Wedel - und hilft dabei oft Menschen, die…
Das Blockhaus der Arbeitslosenselbsthilfe Wedel am Bahnhof ist seit 2001/2002 der lebendige Treffpunkt des Vereins.
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Das Blockhaus der Arbeitslosenselbsthilfe Wedel am Bahnhof ist seit 2001/2002 der lebendige Treffpunkt des Vereins., Das Blockhaus der Arbeitslosenselbsthilfe Wedel am Bahnhof ist seit 2001/2002 der lebendige Treffpunkt des Vereins.
Hier hilft jeder mit: Saer Mandil kocht im Treffpunkt des Vereins jeden Freitag ein leckeres Mittagsmahl.
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Hier hilft jeder mit: Saer Mandil kocht im Treffpunkt des Vereins jeden Freitag ein leckeres Mittagsmahl., Hier hilft jeder mit: Saer Mandil kocht im Treffpunkt des Vereins jeden Freitag ein leckeres Mittagsmahl.
Der Mechaniker Henner Page repariert in der Werkstatt die Kundenfahrräder.
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Der Mechaniker Henner Page repariert in der Werkstatt die Kundenfahrräder., Der Mechaniker Henner Page repariert in der Werkstatt die Kundenfahrräder.

Freitagmittag im Blockhaus des Arbeitslosenzentrums gegenüber vom Bahnhof hinter der Villa. Es duftet nach Gebratenem. In der Küche des Treffpunkts bereiten Saer Mandil und Hussein Darwischi das Mahl zu. Heute gibt es Fisch mit Pommes und Gurkensalat.Auf einer Liste stehen 15 Frauen und Männer, die sich heute zum Mittagessen angemeldet haben. In dem Aufenthaltsraum gibt es jeden Freitagmittag für zwei Euro das sogenannte "Sonntagsessen".  Gemeinsam sitzen die Arbeitslosen und einige ehrenamtliche Mitarbeiter im Aufenthaltsraum zusammen. Es wird genossen, geklönt und auch gelacht. Mittendrin sitzt der ehemalige Pastor der Christuskirche-Schulau Hans-Günter Werner.

Der Theologe genießt nicht seinen Ruhestand, wie andere in seinem Alter, sondern kümmert sich um Menschen, die keinen Arbeitsplatz haben, obwohl sie vom Alter her noch weit entfernt von der Rente sind. Ein Widerspruch in der hektischen Leistungsgesellschaft. Wie Arbeit gerecht verteilt und gerecht bezahlt werden kann - die Suche nach Lösungen für diese verzwickte Aufgabe treibt Hans-Günter Werner seit Jahrzehnten um. Konsequent geht er dabei seinen Weg. Er geht ihn konsequent und energisch, für einige manchmal enervierend, immer mit Fingern in den offenen Wunden der Gesellschaft und immer mit viel Herz und einer helfenden Hand für Menschen, die es nicht einfach haben.

Der ehrenamtliche Geschäftsführer der Arbeitslosenselbsthilfe - Arbeit für Alle- e.V. Wedel ist 1947 in Wetzendorf bei Lüneburg geboren. Das kirchliche Engagement hat er wohl in den Genen, denn schon sein Vater arbeitete als Pastor. Der Filius, abgestoßen "von dem Standesdünkel der damaligen Kirche", wie er sagt, wollte sich lieber nur mehr um die Belange von den Menschen kümmern, denen es nicht so gut geht.
"Das Pfarrhaus war für mich ein Relikt der Feudalherrschaft. Die Aufgabe des Pfarrers bestand darin, die Schäfchen lammfromm zu halten. Mein Ziel dagegen war es, die Kirche christlich zu unterwandern", erklärt der 69 Jahre alte Geistliche.

Während seines Theologiestudiums in Berlin und Hamburg fing er an sich für Politik zu interessieren. Lernte den 1967 während einer Demonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin gewaltsam zu Tode gekommenen Studenten Benno Ohnesorg kennen und sympathisierte mit der so genannten 68er-Bewegung.
"Aufmüpfig war ich. Der Leitspruch: Der Muff von 1.000 Jahren unter den Talaren spiegelte auch meine Einstellung wider. Ich habe die damals bestehende Prüfungsordnung, die in Teilen stumpf das Grundwissen abfragte, in Frage gestellt, denn kein Mensch kann alles wissen. Viel wichtiger ist das Spezialwissen", so Hans-Günter Werner.

Obwohl er sich beim Abfragen des Grundwissens verweigert habe, gelang ihm mit seinen herausragenden Kenntnissen im Spezialgebiet 1971 sein Examen. Er wurde Pastor in der Hannoverschen und später in der Nordelbischen Kirche. Ein selbstbewusster, unbequemer Theologe, der in seinem 23 Jahre dauernden geistlichen Berufsleben immer wieder vom "konservativen kirchlichen Establishment gemaßregelt oder in den Zwangsruhestand versetzt" worden sei wie er sagt.

"Ich habe auch im Talar gegen Atomkraftwerke demonstriert, und dieses offensive gesellschaftliche Engagement passte einigen Vorgesetzten nicht", erläutert der Theologe. Sein damals zugewiesenes Aufgabengebiet nannte sich kirchlicher Dienst für die Arbeitswelt. Damals habe es in einigen Betrieben verheerende Arbeitsbedingungen gegeben, wie sich Hans-Günter Werner erinnert. "Gastarbeiter mussten zum Beispiel in einer Molkerei 16 bis 18 Stunden arbeiten. Ich besuchte die ausländischen Arbeitnehmer, knüpfte Kontakte und entwickelte mit Gewerkschaftern zusammen eine Strategie, um diese Missstände zu beheben", erzählt Hans-Günter Werner.

Auch bei seinem Wechsel 1978 nach Wedel galt sein Engagement immer den sozial Schwachen. Er versuchte, Neubürger zu integrieren, und kümmerte sich um die Familien.  So setzte er sich in einer Gießerei dafür ein, dass die Kinder der ausländischen Arbeitnehmerfamilien, die auch vor Ort wohnten, einen Spielplatz bekamen.
Mit außergewöhnlichen Aktionen machte er immer wieder in der Öffentlichkeit auf die sozialen Probleme aufmerksam. So beging er mit den ehemaligen Mitarbeitern der Firma Baas in Wedel und deren Familien in einer öffentlichen Zeremonie eine symbolische Beerdigung, als das Unternehmen ihre Pforten schloss und hunderte Menschen auf der Straße standen.

Nicht alle Gemeindeglieder waren immer von Hans-Günter Werner und seiner Art begeistert, manche fühlten sich auf die Füße getreten. Das gipfelte darin, dass die Christus-Kirchengemeinde Schulau sich von ihm trennte. Doch zuvor legte er den Grundstein für sein weiteres Wirken: Als 1982 auch die  AEG viele Mitarbeiter entließ, vergrößerte sich die Zahl der Arbeitslosen in der Rolandstadt noch einmal. In einer Veranstaltung im gleichen Jahr in der Christuskirche mit 15 Politikern und fünf Betroffenen wurde die Idee geboren aus dem lockeren kirchlich-gewerkschaftlichen Arbeitskreis einen Verein zu gründen.

"'Arbeit für alle' ist der Untertitel der Initiative und gleichzeitig die politische Forderung. Mir ist dabei klar, dass es schwer ist, so ein Ziel zu erreichen. Da jeder auch Konkurrent für den Anderen im Arbeitsmarkt ist, bleibt die Solidarität oft auf der Strecke", sagt Hans-Günter Werner, der auch schon lange ein aktives Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund ist.

Die Arbeit des Vereins ruht auf drei Säulen. Es gibt einmal die Beratung und Betreuung der Arbeitslosen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins sind fünf Tage die Woche für die Arbeitslosen da. Sie helfen ihnen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, begleiten die Betroffenen zu den Ämtern, übersetzen auch gern, die im Amtsdeutsch formulierten Schreiben der Behörde oder sind einfach nur da und hören zu, trösten und machen Mut.

Die zweite Säule in der Arbeit des Vereins ist die Öffentlichkeitsarbeit. Seit vielen Jahren demonstriert der Verein zum Beispiel seit 2004 jeden Montag auf dem Wedeler Rathausplatz und macht auf das Schicksal vieler Arbeitslosen aufmerksam - auch, wenn es Montage gibt, an denen Hans-Günter Werner mit seiner Flagge mutterseelenallein vom Rathaus steht, macht er unbeirrbar weiter.

Unerschütterlich ist auch sein Einsatz auf Informationsveranstaltungen, bei denen aktuelle Fragen und Probleme der Erwerbslosen erörtert werden.  "Eines unserer Hauptanliegen ist es, in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass die Arbeitslosen Opfer und keine Täter sind. Die Betroffenen wollen keine Almosen oder Zuschüsse. Sie wollen arbeiten und wieder ein geregeltes Leben führen", erläutert der Seelsorger, der selbst seit 1990 im erzwungenen Ruhestand ist.

Als dritte Säule des Vereins gilt das Modell der Dienstleistungen. Die Arbeitslosen übernehmen Garten- und Hausarbeiten, Schönheitsreparaturen in Wohnungen, einfache handwerklichen Tätigkeiten und helfen bei Umzügen und anderen Transporten. Die Einnahmen aus diesen Aufträgen fließen dem Verein zu, der sie gemeinnützigen Zwecken zukommen lässt.

Das Kernelement des Dienstleistungsangebots ist die  Fahrradwerkstatt, in der gespendete Fahrräder vor allem für den Verleih aufgearbeitet und Kundenfahrräder repariert werden. Der Erfolg spricht für sich. 35 bis 40 Langzeitarbeitslose betreut der Verein. Immer wieder schaffen es Betreute dank der Helfer und vorbildlicher Betriebe in der Region, wieder eine feste, tariflich bezahlte Arbeit zu finden.

Großzügige Wedeler Spender, die Unterstützung von einigen Politikern und ehrenamtliche Helfer mit großer Ausdauer ermöglichten das Überleben des Vereins. Mehrfache Umzüge der Einrichtung brachten aber immer wieder Unruhe. Der lange Kampf und der Einsatz für die Langzeitarbeitslosen sind auch an Hans-Günter Werner nicht spurlos vorübergegangen. Vor einigen Jahren hatte der Theologe einen Herzinfarkt erlitten.
Doch davon lässt sich Hans-Günter Werner nicht unterkriegen, denn zu seinen Auffassungen steht er und kann nicht anders: "Es kann kein Mensch ohne Arbeit sein und hier leisten wir anstrengende christliche Basisarbeit. Gemeinsam packen wir hier an und warten nicht, wie ich schon als Gemeindepastor gesagt habe, auf den Messias. Hier haben wir in Wedel die Chance, Menschen in Not zu helfen und die Welt ein Stück gerechter und liebevoller zu machen." (Wolf-Robert Danehl,kommunikateam GmbH /19.07.2016

Letzte Änderung: 17.12.2019

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