Mit einer eindrucksvollen Veranstaltung, die aus zwei sich ergänzenden Teilen bestand, hat die Stadt Wedel der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Bemerkenswert viele Gäste waren in die Stadtbücherei Wedel gekommen, um sich gleich auf zwei Wegen den Verbrechen der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 zu nähern, die wie der Abend zeigte, auch über das Ende des Nazi-Regimes hinausgehen. Gleichzeitig kündigte der Arbeitskreis eine öffentliche Aktion zum Gedenken an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten für den 10. Mai 2023 an. Ein Planungstreffen kündigte Irmgard Jasker für den 9. Februar an. Wer sich an der Planung beteiligen möchte, sei herzlich eingeladen am 9. Februar um 13.30 Uhr in die Stadtbücherei zu kommen.
Bereits am Nachmittag des 27. Januars hatte der „Arbeitskreis der Stadt Wedel gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit“ mit Gästen den Wedeler KZ-Gedenkstein an der Rissener Straße beleuchtet.
Das Abend-Programm in der Stadtbücherei hatte mit dem vom Wedeler Stadtarchiv organisierten Vortrag „Unerwartete Antworten“ – Das vergessene Hinrichtungsopfer Albert Jacob und die Wedeler Lehrerin Margret Bechler“ begonnen. Sven Hüber, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, blickte dabei auf Widersprüche in den Memoiren und förderte Erkenntnisse zutage, die die Rolle Margret Bechlers während des NS-Regimes heute in ein neues Licht rücken. Mehr Informationen unter diesem Link.
An den Vortrag schloss sich direkt die gemeinsame Veranstaltung des „Arbeitskreises der Stadt Wedel gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit", der Amschlerstiftung und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA, in der viele Opfer des NS-Regimes organisiert sind). Unter dem Titel „Wieso die Nazis Angst vor Pünktchen und Anton hatten“ wirkten neben dem Jazz-Ensemble „Elbsound 5" auch Schülerinnen und Schüler der Ernst-Barlach-Gemeinschaftsschule (EBG) und Gebrüder Humboldt-Schule (GHS) mit. Als thematischer Ausgangspunkt, von dem die Akteure immer wieder neue berührende Reflexionsansätze erarbeitet hatten, waren die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933. Mit Ihnen wollten die Nationalsozialisten tausende Bücher vor allem jüdischer Autoren, aber auch anderer politisch unliebsamer Schriftsteller, symbolisch aus der öffentlichen Wahrnehmung tilgen.
Dr. Achim Juse vom Arbeitskreis gegen Rechtsradikalismus betonte in seinen einführenden Worten, dass mit der Verbrennung von Büchern unter dem NS-Regime auch insgesamt eine ideologische Gleichschaltung zum Beispiel auch der Wissenschaft einherging. Die Vorsitzende der Amschlerstiftung Heidi Garling rief angesichts auch aktueller politischer Entwicklungen zur Wachsamkeit und zum Kampf für die Demokratie auf. Mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für den kulturellen Wert von Büchern für die Entwicklung menschlicher Gesellschaften insgesamt nahm Uta Amer die Gäste mit auf eine kulturhistorische Zeit- und Weltreise rund um das bedruckte Papier.
Immer wieder ergänzten die „Elbsound 5“ um die Sängerin Andrea Betche das Programm mit Jazz-Titeln aus den 1920er und 1930er Jahren und sorgten durch kluge Anmoderationen für eine treffsichere Einordnung der Stücke. Zum Beispiel sang Betche Teile des Titels „Stormy Weather“ in der deutschen Übertragung durch die „Comedian Hamonists“, dem berühmten Vokalensemble, dass am Ende wegen seiner jüdischen Mitglieder vom Nazi-Regime zerschlagen wurde. Besonders das Lied „Edelweiß-Piraten“ über eine mutige junge Widerstandsgruppe ging wegen des schonungslosen Textes unter die Haut.
Einen noch stärkeren Eindruck hinterließen allerdings die Beiträge von Schülerinnen und Schülern der Ernst-Barlach-Gemeinschaftsschule (EBG) und der Gruppe Humboldts Helfer der Gebrüder-Humboldt-Schule. Die GHS-Schülerinnen und Schüler entrollten zunächst eine acht Meter lange Liste von Werken, die am 10. Mai 1933 verbrannt worden waren – ein Moment, der für erschüttertes Staunen im Publikum sorgte, zeigte es doch, wie viele literarische und intellektuelle Stimmen die Nazis schon 1933 sichtbar aus ideologischen Gründen tilgen wollten. Anschließend holten Sie mit kurzen Inhaltsangaben von verbrannten Werken und eigenen Gedanken dazu die Werke wieder ins Leben zurück.
Die Schülerinnen und Schüler der EBG präsentierten zunächst in einem Video ihre gemeinsame Arbeit mit der Wedeler Zeitzeugin Marianne Wilke. Die Gruppe hatte Wilke zu ihren Erfahrungen mit Verfolgung und Ausgrenzung befragt, die die heute über 90-Jährige erleben musste, als die Nazis sie mit den „Nürnberger Gesetzen“ im September 1935 zur so genannten „Halbjüdin“ erklärt hatten.
Ein Ebenfalls starker Moment folgte, als Schülerinnen zwei Texte verlasen – einen, der 1933 verbrannt worden war, weil er das Menschsein feierte und einen dem Regime genehmen Text, der im Stil einer Kindergeschichte Hass auf Menschen jüdischen Glaubens schürte.
Langer Applaus. Tiefe Betroffenheit.