70 Jahre Leben zwischen Wellenstrand und Wattenmeer

Die Idee, ein Ferienheim an der Nordsee für die vom Krieg stark getroffene Jugend zu gründen, stammt wahrscheinlich aus Wedel. Stadtdirektor Heinrich Gau gilt als einer der Wegbereiter des Fünf-Städte-Heims, das Wedel mit Pinneberg, Elmshorn, Uetersen und Barmstedt, allesamt aus dem Kreis Pinneberg, gründen wollte. Kellinghusen aus dem Kreis Steinburg und die Gemeinde Neuendeich wurden ebenfalls mit einbezogen, weil ein Verein nun mal sieben Mitglieder haben muss. In Barmstedt lehnten letztlich die Vertreter der bürgerlichen Mehrheit den Beitritt zum Fünf-Städte-Verein ab, weil man zu hohe Kosten für die Einrichtung und Instandhaltung vermutete, sodass die Versorgung der Flüchtlinge in der Stadt beeinträchtigt würde. Stattdessen rückte Tornesch als Trägergemeinde nach. wedel.de veröffentlicht einige Erinnerungen an "Damals".

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Wedels Bürgermeister Heinricht Schacht begrüßt die Gäste des internationalen Treffens vor 70 Jahren im Fünf-Städte-Heim. Fotos: Fünf-Städte-Verein
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Tausende von Kindern erkennen hier Zuhause auf Zeit wieder.
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Einfach aber funktional: ein Speisesaal
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Strandleben in Hörnum vor 70 Jahren ...
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...und heute.
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Mit der Bahn reiste man damals an. Foto: Günther Schumacher

Als der 14 Jahre alte Walter Marquardt mit seiner achten Klasse die erste große Reise antreten soll, ist er schon Tage voher aufgeregt. Der Augenblick, als er dann mit seinen Schulkameraden das erste Mal über die Dünen stapft und die Nordsee erblickt, ist ihm fest in die Seele gebrannt – bis heute mehr als 60 Jahre später. „Wir stürmten ans Wasser, ließen auch nicht ab, als die Klamotten von den Wellen durchnässt waren. Noch Tage später war unsere Lederhose vom Salz der Nordsee knochenhart. Egal, wir haben jeden Moment genossen“, erinnert sich der heute 78-jährige Glückstädter gern an seine Zeit im Fünf-Städte-Heim in Hörnum auf Sylt. Seine Kameraden und er türmten nachts aus den Fenstern, verliebten sich, weinten um unerreichbare Mädchen, aßen um die Wette, tanzten und spielten.

Diese Klassenreise liegt mittlerweile 63 Jahre zurück. Doch wie dem Glückstädter Jung geht es vielen Menschen in der Republik. Etwa 430.000 Jungen und Mädchen haben seit der Gründung des Jugenderholungs- und Schullandheims vor 70 Jahren gelacht, geweint, gelernt ... Den einen packt das Hörnum-Fieber, den anderen erschreckt das große Haus, das 1936 von der Luftwaffe des Deutschen Reichs als Offizierserholungsstätte gebaut und nach 1945 für diejenigen hergerichtet worden war, die unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs extrem gelitten hatten, den Kindern.

Heute gibt es nur noch wenige, die sich an diese Aufbauzeit erinnern. Einer von ihnen ist Heinz Plickert. Der Pinneberger Jung gehörte zu denen, die für eine andere, eine friedliche Welt streiten wollten. Das engagierte Mitglied der Gewerkschaftsjugend machte 1948 die erste Gruppenleiterschulung in Hörnum mit und auch ihn packte dieses bislang unerforschte Hörnum-Virus, das ihn immer wieder dorthin führte, an die Nordsee, in den Süden Sylts zwischen Wattenmeer und Wellenstrand, mitten rein in die Dünen, deren Strandhafer im Wind weht, egal, was draußen herum vor sich geht.

„Was damals wichtig war, kann heute niemand nachvollziehen“, sagt Heinz Plickert, 89. „Da gab es zum Beispiel den Jungen, der glücklich seinen Eltern berichtete: ‚Ich durfte heute eine ganze Wurst allein essen.’ Aber genau das war anfangs das Wichtigste: Es ging darum, dass die Kinder satt wurden. Es wurde kein Lebensmittel weggeschmissen, alles irgendwie verwertet.“

Aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl, egal ob am Lagerfeuer, beim Toben am Strand oder beim Singen hatten eine ungeheuere Strahlkraft. „Wir sind mit den Kindern mit dem Fischkutter rausgefahren“, erinnert sich der damalige Gruppenleiter. „Das wäre heute aufgrund der Sicherheitsbestimmungen gar nicht mehr möglich. Durch diese Vorschriften geht immer mehr Romantik verloren.“

Trotz wachsender Reglementierungen nicht nur in der Jugendarbeit hielt Heinz Plickert seinen starken Draht zum Haus an der Nordsee, übernahm in den 70er-Jahren den Vorsitz des Fünf-Städte-Vereins und 1978 die Leitung des Ferienheims. Ende 1991 ging er in den Ruhestand. Doch wenn er erzählt, dann leuchtet das Hörnum-Virus, auch wenn er sagt. „Ich halte mich da raus. Alles hat seine Zeit und jeder seinen Stil.“

Auch Walter Marquardt war lange nicht mehr im Fünf-Städte-Heim, aber immer wieder an der Nordsee. Und wenn er erzählt, wie er mit den anderen Jungs erstmals das Leben fernab von Zuhause genossen hat, dann strahlen die Augen und der Blick geht ganz weit weg: zum Haus am Meer. (11.8.2018, Michael Rahn/Fünf-Städte-Verein Pinneberg e.V.)

Letzte Änderung: 17.12.2019

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